Fritz Fey Chefredakteur Studio Magazin
editorial
Von den Alten Neues lernen
Die Rauchschwaden unseres Jubiläumsfeuerwerks zum 40.,
bitte nur im übertragenen Sinne verstehen, haben sich
langsam verzogen und wir kehren wieder zurück zur mo-natlichen
Routine. Ich wundere mich derzeit sehr darüber,
wie viele junge Leute sich für unser historisches Archiv in-teressieren,
das zeitgleich mit dem Erscheinen der 40-Jah-re-
Ausgabe zum kostenlosen Stöbern und Lesen online ge-gangen
ist. Inzwischen haben wir dort Tausende von Zu-griffen
zu verzeichnen und das Echo ist wirklich überwälti-gend.
Täglich bekommen wir positive Reaktionen auf das,
was vor vierzig Jahren in der Branche passierte. Es ist zwar
nicht neu für mich, dass die junge Generation alte Verfah-renstechniken
für sich entdecken, aber es ist schon noch
etwas anderes, derartige Reaktionen live miterleben zu
können. Der Markt ist überschwemmt von analogen Emu-lationen
der klangbestimmenden Geräte aus den 60ern,
70ern und 80ern, und ständig begegnen wir auch aktuellen
analogen Hardware-Nachbauten der Boutique-Technik aus
der ‚Kreidezeit‘, die damals eigentlich gar nichts Beson-deres
darstellte, sondern das repräsentierte, was die Stu-diotechnik
aus dieser Epoche eben konnte. Ich freue mich
zwar immer über innovative digitale Ideen, die etwas lei-sten,
was mit Analogtechnik niemals möglich gewesen wä-re,
jedoch muss ich auch immer wieder staunen, wie be-gehrt
Schaltungen aus der Gründerzeit tatsächlich gerade
bei den jungen Kollegen sind, die heute alles an Technolo-gie
zur Verfügung haben, was man sich in seinen kühnsten
Träumen vorstellen kann. Was macht den Reiz aus, der von
einem Kompressor oder EQ aus den 70er Jahren ausgeht?
Warum sind Hallgeräte aus den Kinderschuhtagen der Digi-taltechnik
so hoch gehandelt, sei es auch ‚nur‘ als Plug-In-
Emulation? Es sieht ganz so aus, als hätten wir alten Kna-ben
tatsächlich musikalisch-technische Vorlagen gegeben,
die heute als außergewöhnliches Stilmittel gelten. Kön-nen
die Jungen tatsächlich etwas Neues von den Alten ler-nen?
Es scheint so, denn nicht umsonst wird um M/S-Be-arbeitung
ein solcher Hype gemacht, eine Technologie, die
vor mehr als 50 Jahren entwickelt wurde und das Stereosi-gnal
einfach nur anders beschreibt. Es scheint so, als wä-re
die Beschränkung ein guter Berater gewesen, denn wir
mussten mit einfachsten Mitteln Aufnahmen erstellen, oh-ne
das Instrumentarium von Werkzeugen, die heute jeder
Laptop-User als Komplettpaket zur Verfügung hat. Mich be-schleicht
dabei der Gedanke, dass die Unvollkommenheit
und die Schwächen der alten Technologie genau das sind,
was heute Spannung in die gleichgeschaltete Digitaltech-nik
bringen kann. Erfolgreiche Toningenieure bauen aufwän-dige
Parallel-Busse mit ‚analogem Fehlverhalten‘, um die
Musik lebendiger zu gestalten, obwohl sie prinzipiell in der
DAW zu Hause sind. Wenn ich mir überlege, dass es eine
Zeit gab, in der öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ih-re
Netzteil-gespeisten Röhrenmikrofone zum Kilopreis ver-kauften,
um endlich in den Genuss des ‚Komforts‘ phan-tomgespeister
Transistor-Mikrofone zu kommen, bekomme
ich nachträglich eine Gänsehaut, auch über die verpasste
Chance, selbst von diesem denkwürdigen Ausverkauf pro-fitiert
haben zu können. Es gibt heute moderne Mikrofone
von bestechender technischer Qualität für vergleichsweise
kleines Geld – am Stammtisch diskutiert wird aber vorzugs-weise
über die Segnungen eines U 47, M 50 oder C 12, von
denen es inzwischen reichlich durchaus bezahlbare Repliken
gibt, was die Kenner aber nicht davon abhält, ein Original
zum Preis eines Kleinwagens zu kaufen und dieses wie ei-ne
Trophäe durch das Studio zu tragen. Die Berliner Neu-männer
haben nun beschlossen, das U 67 wieder auferste-hen
zu lassen und schaffen damit mehr Aufmerksamkeit für
sich, als mit jeder anderen zeitgemäßen Mikrofonentwick-lung.
Für mich ist es so schön, zu erleben, dass die Geräte
und Mikrofone, die ich vor fast 45 Jahren im Studio ein-setzte,
heute noch im Original existieren und zum Teil weit
über dem ursprünglichen Preis gehandelt werden. So etwas
nennt man ‚Nachhaltigkeit‘ und da dürfen die Software-Her-steller
der Neuzeit gerne auch mal ein bisschen neidisch
sein…