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hintergrund artigen Fällen effektiv zum Einsatz kommen. Meine Erfah-rungen 20 | 21 zeigen, dass man mit dem Seitenkanal relativ ri-goros umgehen kann, mit zum Teil sehr extremen EQ-Ein-stellungen, die zu sehr überzeugenden Ergebnissen füh-ren. Es ist zum Beispiel möglich, die Räumlichkeit durch geschickte Absenkung zu verringern oder durch gezielte Anhebung zu erhöhen, ohne den Pegel von M- und S-Ka-nal anzufassen. Durch Anhebung des Seitensignals in den unteren Mitten oder Tiefen entsteht eine zum Teil fantas-tische Wärme, jedoch bleiben alle Hauptsignale nahe-zu unverändert. Eine meist metallisch anmutenden Hall-platte (oder deren Software-Pendant) lässt sich mit einer recht steilen Absenkung im interessierenden Frequenz-bereich deutlich freundlicher gestalten. Auf diese Wei-se entsteht zum Beispiel auch eine einheitliche ‚räum-liche Linie‘ über ein komplettes Album. Interessant sind auch automatisierte Pegelveränderungen des S-Ka-nals in einem sehr kleinen Bereich. Auf diese Weise er-hält man unauffällig, aber sehr effektvoll mehr Basisbrei-te in einem Refrain, während die Strophen wieder et-was in Richtung Mono zurücktreten. Der MS-Betrieb ist, das muss ich vielleicht nicht sonderlich betonen, selbst-verständlich nicht für Mastering-Studios reserviert, die ja erst später von diesem Verfahren profitiert haben. Auch und besonders in der Produktion, da wo die MS-Stere-ophonie ihren Ursprung hat, kann man schnell auf gu-te Ideen kommen, wenn es um die Breite oder Räumlich-keit einzelner Instrumentengruppen geht. Auch und gera-de die Schlagzeug-Audiogruppe ist ein dankbares Ziel für MS-Bearbeitung, zum Beispiel, wenn man einen mäßig klingenden Aufnahmeraum vergolden möchte, ohne den Klang des Schlagzeugs elementar zu verändern. Ich habe sogar schon eine sehr trockene Mischung unter Nutzung des M-Kanals mit etwas mehr Räumlichkeit durch vor-sichtige Verhallung aufgepolstert – es ist nicht das glei-che Ergebnis, als würde man eine Stereomischung kom-plett durch einen Nachhallalgorithmus befördern. Auch dynamischer EQ im Seitensignal, seltener im Mittensi-gnal, kann dazu beitragen, dass Räumlichkeit geschickt homogenisiert wird und die Mischung insgesamt leben-diger wirkt. Alle diese Anregungen sind natürlich stark davon abhängig, mit welcher Produktion man es zu tun hat, und es soll auch nicht so klingen, als wollte ich den Mastering-Ingenieur dazu ermächtigen, mit dem groß-en Hammer auf jede Produktion einzuschlagen. Aber sehr häufig bringt die MS-Bearbeitung einen gewissen Charme in eine Aufnahme, der mit herkömmlichen Mitteln nicht erreichbar wäre. Faustregeln für eine standardisierte Vor-gehensweise gibt es natürlich auch hier nicht, denn dazu sind die Möglichkeiten zu komplex und die Mischungen zu unterschiedlich. Abspann MS-Bearbeitung ist kein Reparaturverfahren für miss-glückte Mischungen, sondern vor allem ein Mittel der klangästhetischen Gestaltung. Wer einmal damit expe-rimentiert hat, wird diese Möglichkeiten ganz sicher in Klassischer Aufbau einer MS-Mikrofonaufnahme Vertigo VSM-2


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