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schnitt ‚betrügen‘ können. Andererseits ist es nach mei- werden. Hier gibt es noch sehr verschiedene Ansätze in nen Versuchen nicht möglich, diese Grenzwerte (Loud- den Sendern. Diese Problematik kann unter ungünstigen ness-Target, maximaler Short-Term-Wert und maximaler Umständen sogar dazu führen, dass der Dialog eines ei- Momentary-Wert) einzuhalten, ohne deutliche Eingriffe gentlich korrekt gemischten Films plötzlich zu leise wie- in die Dynamik vorzunehmen. Die Eigendynamik, aus dergegeben wird. Der Dialog stellt dabei eine der größ- Ausführungen wie „erste Erfahrungen deuten auf … ten Schwierigkeiten in der Loudness-basierten Mischung Werte um +3 LU als mögliche Grenze“ (Zitat übersetzt dar. Das menschliche Gehirn ist so sehr auf die Stimme aus Tech Paper 3343) direkte Übernahmen in die Pflich- als Referenz getrimmt, dass es durchaus ungünstig wer- tenhefte zu machen, war sicher unterschätzt. Die Praxis den kann, verschiedene Wortbeiträge anhand der Ge- wird zeigen, wie sich diese Anforderungen erneuern und samt-Loudness nach ITU aneinander zu reihen. Vorstell- entwickeln, Papier ist ja leider, vor allem in großen An- bar sind hier zum Beispiel eine Talkshow im mehr oder stalten, geduldig. weniger ruhigen Studio und ein Liveinterview auf einem lauten Bahnhof. Obwohl ohnehin schlechter verständ- Technische Probleme lich, wird der Dialog im Bahnhof deutlich leiser wer- den, als der Studioton. Die Hintergrundgeräusche gehen Auch bei gleich normalisierten Programmabschnitten er- stark in die Loudnessmessung ein, so dass die Gesamt- geben sich fast immer große Probleme an den Über- mischung auf dem Target einen zu leisen Sprachton be- gangspunkten. Eine halbe Stunde Hauptfilm ist in sei- sitzt. Langfristig wird sich zeigen, ob eine wie auch im- ner Dynamik an einem nicht vorhersehbaren Punkt an- mer geartete Praxis mit dem Ankerelement Sprache sinn- gekommen, wenn die Werbeeinspielung beginnt. Man voll ist oder nicht. darf nie aus den Augen verlieren, dass ein korrekt aus- gesteuerter Beitrag theoretisch zu keinem Zeitpunkt re- Zwischenfazit al auf dem Targetwert sein muss. Entscheidend ist der von mir bereits häufig erwähnte Sinnzusammenhang. Al- Wir sind also noch lange nicht an einem Endpunkt ange- so ein Loudness-Sprung, der den menschlichen Hörge- kommen, sondern stecken mitten in einer Entwicklung, wohnheiten entspricht, weil er für uns logisch erscheint. die noch viele Lösungen hervorbringen muss. Ich hoffe, Diesen Sinnzusammenhang gibt es aber leider an den dass mein Beitrag kein allzu negatives Bild gemalt hat. meisten ‚Stoßstellen‘ nicht. Natürlich ist hier eine neu- Die Entspannung beim Fernsehen ist, zumindest auf un- trale Regelung das erstrebenswerte Ideal. Ohne Auto- serem Sofa, um einiges gestiegen. Aber natürlich gibt mationssteuerung wird dies nicht gehen. Aber die tech- es immer wieder Ausreißer und die erwähnten Pro- nischen Gegebenheiten, auch außerhalb Deutschlands bleme, die für einen geschulten Kollegen natürlich auch und Europas, sind heute dank HD-TV so weit fortge- beim abendlichen TV-Genuss nicht auszublenden sind. schritten, dass die Automation von Tontechnik meist Ich gebe durchaus zu, dass meine Einstellung kritischer ‚mit abfällt‘. Die klanglichen Bedenken der Puristen ge- ist, als die vieler anderer. Fachidiotie? Vielleicht. Als Fa- genüber Loudness-Prozessoren sind ja an vielen Stellen zit bleibt stehen, dass ein guter Anfang geschafft ist. durchaus legitim. Aber mit einer modernen Automation Schaut man sich die Dimension der Umstellung an, so kann man eben auswählen, ob für die Übertragung der können alle Beteiligten stolz sein, dass dieser Stein so Mahler-Sinfonie einfach in den Bypass-Modus gewech- schnell ins Rollen gebracht werden konnte und dank selt wird. Darüber hinaus bleiben andere technische Fra- vereinter Kräfte nun auch nicht mehr zu stoppen ist. Mit gen bisher leider weiter ungeklärt. Die unterschiedliche den kommenden Monaten wird das Thema Loudness zur Art der Messung und Targetwerte zwischen Nordameri- Routine und irgendwann auch langweiliger, weil selbst- ka und Europa, sowie allen anderen Erdteilen, die sich verständlich. Und vor allem der Realitätssinn wird eine am einen oder anderen System orientieren, ist eine da- neue Kalibrierung bekommen und Werkzeuge dort ak- von. Weiterhin stellt sich die Frage der Kompatibilität zeptieren, wo sie nötig sind. Dogmatismus kann und zum Dolby-System mit seiner Dialognormalisierung. Ein sollte eigentlich nie Methode der Wahl sein. In ein paar einfaches Austauschen der Messwerte wäre eine erstre- Jahren werde ich sicher wieder einen, den dann fünf- benswerte Erleichterung, ist aber leider nicht möglich. ten, Beitrag zu diesem Thema verfassen und ein endgül- Bei der aktuellen Verbreitung von Dolby-Systemen darf tiges Fazit ziehen können. Ich bin gespannt wie es aus- dieses Problem nicht auf die leichte Schulter genommen sehen wird.


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