Page 42

Studio eMagazin 04-2012_opt

kommentar Umstieg koordiniert und Mitarbeiter schult? Woher sol- bei dieser Meinung sicher nicht der neutralste Vertreter, len die Informationen kommen, die bisher faktisch nicht denn ich arbeite seit dem letzten Jahr auch für die Fir- öffentlich in Deutsch vorliegen? Wie kann ein seriöser, ma Jünger Audio, deren Expertise bekanntlich unter An- von einem unseriösen Workshop unterschieden werden, derem auf dem Gebiet der Echtzeit-Loudnessregelung wenn man schon Geld in die Hand nimmt um die Beleg- liegt. Da die Stimmen gegen Prozessoren bis zuletzt schaft zu schulen? Die Antworten auf diese Fragen blei- umfangreich Gehör in vielen internationalen Fachpubli- ben leider offen, auch wenn es keinen Schuldigen ge- kationen finden, scheint es mir allerdings dennoch legi- ben kann. Ich möchte auf keinen Fall den Eindruck ent- tim einmal auf den Boden der Realitäten zurückzurufen. stehen lassen, dass ich Jemandem einen Vorwurf ma- Es geht auch in einer theoretisch idealen Loudnesswelt chen möchte. Wem auch? Die Schuld, so man sie denn in der Praxis nicht ohne Dynamikprozessoren. Neben überhaupt so nennen möchte, verteilt sich auf viele der Livemischung schafft vor allem die immer geringere kleine Schultern. Es treffen, wie so oft, die Vorstel- technische Qualifikation der Mitarbeiter hier Probleme, lungen von qualitätsbewussten Theoretikern auf die Re- denn an vielen Stellen haben nicht mehr Experten, son- alitäten von Praktikern. Und auch wenn uns dies nicht dern universell einsetzbare Kollegen die Mischung in gefallen mag, sie passen an vielen Stellen nicht so zu- der Hand. Reportagen, Nachrichten, Unterhaltungssen- sammen, wie man sich das am Anfang vielleicht ge- dungen und Klatschfernsehen sind tontechnischer Ein- dacht hat. Die Idealvorstellung war sicherlich, dass al- heitsbrei ohne qualifizierte Endkontrolle. Daran ändert le zukünftigen Produktionen so gemischt werden, dass auch das korrekt eingestellte Target nichts. Hier helfen eine Summenbearbeitung mittels Kompression und Li- nur ausgefeilte Prozessoren im Sendeausgang. Der ent- mitierung weitestgehend der Vergangenheit angehört. scheidende Punkt liegt also darin, das Dogma der groß- Das Ende des Loudness-War wurde, zumindest für das en Dynamik abzulegen und den Kompressor und seine Fernsehen, angekündigt. Ich habe es in meinen eigenen Verwandten nicht als Teufels-, sondern wieder als Werk- Workshops und Artikeln immer so dargestellt, dass die zeug zu betrachten. Die Szene scheint über die Jahre al- Möglichkeit geschaffen wird, sich für Dynamik zu ent- lerdings so gebrandmarkt zu sein, dass jede Verringe- scheiden und nicht in den ‚Wettbewerb‘ des Loudness- rung der Dynamik mit einer Hyperkompression gleich- Vergleichs eintreten zu müssen. Bringt man einen dyna- gesetzt wird. Um mit der sicher vielen Lesern des Stu- mischen und einen überkomprimierten Titel bei gleicher dio Magazins gut bekannten Analogie von Fritz Fey zu Loudness in den direkten Vergleich, so wird wohl das sprechen: Mit einem Hammer kann man ein schönes dynamische Werk gewinnen. Allerdings zeigt meine ein- Bild aufhängen oder Jemandem den Schädel einschla- leitende Ironie doch einen wichtigen Aspekt der Proble- gen. Für beides kann aber der Hammer nichts. Mit et- matik. Die Allerwenigsten können auf ihrer Heimkinoan- was mehr Besonnenheit in der Argumentation haben al- lage die vom Kino bekannte Dynamik darstellen, vom le mehr Spaß an der Loudnessrevolution. Und wenn TV-Zuschauer ohne Anlage, der auf den Fernseherton man es rational betrachtet, ist die Ablehnung von Dy- angewiesen ist, ganz zu schweigen. Mein heimischer namikprozessoren nicht nur dogmatisch, sondern auch Flachbildschirm ist schon mit der Dynamik einer Folge paradox. Es hat vor einigen Jahren Versuche in der EBU- ‚Die Simpsons‘ weitestgehend ausgelastet. Und selbst Loudnessgruppe gegeben, die zu dem Ergebnis kamen, wenn die technischen Gegebenheiten gut genug für ei- dass es sinnvoll sein kann für kurze Programmabschnit- ne umfangreiche Programmdynamik und eine Loudness- te nicht nur auf den Targetwert auszusteuern, sondern range im Bereich von 15 bis 20 LU sind, machen einem auch bei der Short-Term-Loudness (also der Messung die laute Straße, die Nachbarn oder das schlafende Ba- über 3 Sekunden) einen Maximalwert vorzuschlagen. by im Nebenraum einen Strich durch die Rechnung. Ich Dies betrifft natürlich vor allem Werbung und Trailer. Im habe Versuche im Wohnzimmer angestellt und festge- letzten Jahr wurde der dort publizierte Wert von 3 LU stellt, dass schon Loudnessranges um 12 LU eigentlich über Target (EBU Tech Paper 3343), also -20 LUFS, von nicht mehr ohne Griff zur Fernbedienung zu bewältigen verschiedenen Sendern als Anforderung übernommen. sind. Das ist leider viel weniger als von einigen Loud- Ich habe zum Beispiel das entsprechende Dokument ness-Pionieren gefordert, die weiterhin öffentlich gegen der ARD vorliegen. Nun ist die Begrenzung auf -20 LUFS Dynamikprozessoren wettern. Es ist schon interessant, Short-Term bei Werbung sicher auf der einen Seite not- dass die gut gemeinte Umstellung zu mehr Freiheit in wendig, damit kurze Spots im Gesamtkontext passen einen Zwang zur Dynamik umzukippen droht. Ich bin und nicht mit einem zu lautem und einem zu leisen Ab- 42 | 43


Studio eMagazin 04-2012_opt
To see the actual publication please follow the link above