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Fritz Fey Chefredakteur Studio Magazin editorial Posing am Arbeitsplatz In früheren Jahren hatte es der Toningenieur leicht, sich auf Fotos eindrucksvoll und bedeutungsschwanger zu insze-nieren. Das war gut fürs Ego und jeder konnte sehen, wie wichtig dieser Job ist, selbst, wenn man keine Ahnung von der Materie hatte. Studiotechnik war groß und imposant, vom Mischpult über die Bandmaschine bis zu in die Wand eingebauten Doppel-Fünfzehner-Pötten von Lautsprechern. Auch heute noch lassen sich Kollegen gerne vor Großkon-solen mit 72+ Kanälen ablichten. ‚Mensch, was für ein gei-ler Typ! Ob er wirklich weiß, was alle diese Knöpfe und Schalter bedeuten?‘ Ich will ja niemandem etwas unterstel-len, aber mit einer solchen Konsole im Hintergrund fühlt sich das Leben doch gleich viel besser und die Arbeit viel wichtiger an. In diesem Zusammenhang stellt sich die Fra-ge, wie lange es solche Konsolen noch geben kann? Man darf vermuten, dass bestimmte Bauteile irgendwann ein-fach nicht mehr verfügbar und Restaurationsbemühungen ein Ding der Unmöglichkeit sein werden. Nun sind diese Konsolen ja nicht zu Posing-Zwecken gebaut worden, son-dern weil Hardware für unsere Hände nicht kleiner sein darf und man mit ihr wunderbare Aufnahmen und analo-ge Mischungen machen kann. Nicht umsonst erhalten wir aus dem Markt immer wieder Rückmeldungen, dass Misch-pulten aus der Kreidezeit der Tonstudiotechnik neues Le-ben durch umfangreiche Restaurationsarbeiten eingehaucht wurde: Harrison, Neve, MCI, SSL, Helios und selbst längst vergessene, aber dennoch extrem begehrte TG-Pulte aus ei-ner Phase, als EMI noch selbst Mischpulte entwickelte, ste-hen in so mancher Regie ‚up to specs‘ wie aus dem Ei ge-pellt da. Wir werden diese Schätze irgendwann verlieren, unwiederbringlich. Dann wird das fehlende Fotomotiv noch das kleinste Problem sein. Wenn wir den Posing-Effekt noch etwas weiterspinnen – was findet man heute noch Imposantes in einer Tonregie? Ja, genau, mit 19-Zoll-Out-board vollgestopfte Racks, im Rücken des Arbeitsplatzes, der nur noch ein paar Bildschirme, kompakte Nahfeldmo-nitore, eine Tastatur und eine Maus zu bieten hat. Kom-plett abgeschrieben ist eine große Bedienoberfläche jedoch keinesfalls, da sie einem durchaus ernsten ergonomischen Hintergrund folgt. Avid S6 oder Yamaha Nuage, um zwei prominente Beispiele zu nennen, verkörpern den Gedan-ken, dass Mischarbeit doch irgendwie einer einstudierten Choreografie gleichkommt, die möglichst viel an einem er-warteten Platz auffindbar macht und möglichst viele Infor-mationen auf einmal liefern kann, ohne dass man sie ir-gendwo aktiv abrufen müsste. Das ist keine Materialver-schwendung, hat auch nichts mit Posing zu tun, sondern erfüllt unseren Wunsch nach einem unserer Anatomie ent-sprechenden Arbeitsumfeld. Ich weiß, man kann das alles auch ‚in the box‘ machen, ohne physikalisch vorhandene Regler, mit einem durch die Maus gesteuerten Cursor, der anatomisch betrachtet einem Finger an der rechten oder linken Hand entspricht. Unsere Fähigkeiten zur Anpassung, die wir damals brauchten, um von einem Ende eines Ana-logpultes bis zum anderen vier Meter Wegstrecke zurückzu-legen und das auch noch gut zu finden, greift auch im um-gekehrten Fall, alles mit wenigen Zentimetern Mausbewe-gung zu steuern, und dabei unser Konzentrationsvermögen zu strapazieren, ohne es wirklich zu bemerken. Da unser Studio Magazin am Ende eines jeden Monats er-scheint, ist diese Ausgabe die letzte, die Sie vor Weih-nachten erhalten werden. Wir haben wieder ein turbu-lentes Jahr erlebt, das in seinem Verlauf einige erdrutschar-tige Nachrichten von Firmenübernahmen zu verbuchen hat-te: Black Magic kaufte Fairlight, die Music Group kaufte die TC Group, Samsung kaufte Harman, um die prominentes-ten Beispiele zu nennen. Ich möchte mich im Namen des gesamten Studio-Magazin-Teams für Ihre Lesertreue bedan-ken. Wir werden unseren Weg weitergehen, trotz aller Wi-derstände, die sich hier und da aufgetan haben und wei-terhin auftun werden. Ihnen allen ein schönes Weihnachts-fest, verbunden mit ein paar erholsamen Tagen!


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